Spirituelle Gedanken zur Jahreslosung 2023                 von Patrik Scherrer lic. theol.

 

 

Jahreslosung 2023

 

"Du bist ein Gott, der mich sieht." 

(Gen 16,13)

 

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ ist die Erkenntnis einer unfreien, misshandelten und erniedrigten Frau, die Gott bislang noch nicht so erfahren hat. Doch nun erlebt sie, dass es auch für sie einen persönlichen Gott gibt, der sich ihrem Schicksal angenommen und ihr geholfen hat, sie also gesehen hat. Im Bild ist nicht die zwischenmenschlich schwierige Situation der Sklavin Hagar mit Sarah, Abraham und dem Engel wiedergegeben, sondern wir werden in ihre Erkenntnis hineingenommen.

 

„Gott sieht mich“ ist eine erleichternde Erfahrung und Feststellung und hat nichts von einer allgegenwärtigen moralischen Kontrollinstanz an sich, die jeden Gedanken und jede Handlung bewertet, belohnt oder bestraft. Gott sieht mich mit den liebevollen und fürsorglichen Augen eines Vaters oder einer Mutter.

 

Gott wird in der großen Sonne und dem Auge symbolisiert. Die Sonne ist tief in die Erde eingesenkt, um Gottes Nähe zu uns Menschen zu verdeutlichen. Im offenen Auge wird Gottes sehende Gegenwart sichtbar. Gott schaut in eine Landschaft, die von seinem Licht erfüllt ist und in der als natürlicher Gegenstand nur ein Baum steht. Daneben finden sich in der unteren Bildhälfte zweimal zwölf Kreise. Die eine Gruppe ist mit zumeist gelb gefärbten großen Kreisen angelegt. Sie wirken wie kleine Abbilder der Sonne. Die andere Gruppe findet sich als rote Punkte links neben dem Baumstamm und korrespondiert farblich mit der Senkrechten am rechten Bildrand.

 

Hier stellt sich die Frage, wo Gott mich sehen und sich meiner annehmen soll. In welchem Symbol finde ich mich wieder? Wie erfahre ich mich vor Gott? Im (Lebens-)Baum, in seiner geöffneten Blüte oder in der Knospe? In einem der großen oder kleinen Kreise – oder gar im randständigen Balken?

 

Dem göttlichen Auge am nächsten sind die weißen Knospen und insbesondere die offene Blüte. Sie symbolisieren Neuanfang, den Wachstumsbeginn einer neuen Frucht. Etwas Neues bricht in großer Reinheit und Unschuld auf und verheißt Großes. Der Baum füllt das Bildformat. Er steht für beständiges, standortgebundenes Leben, langes Wachstum mit wiederkehrendem Wechsel von Blätter- und Knospentreiben, Blühen, Fruchttragen und Loslassen der Früchte und Blätter. Der Baum steht im Licht und ist im besten Fall auch Licht- und Gottesträger! 

 

Die Kreise und der Stab sprechen eine geometrische Symbolsprache. Auffallend ist der weiße Kreis, der mit der Regenbogenhaut im Auge Gottes korrespondiert: Ich bin etwas Besonderes in den Augen Gottes, ich erlebe gerade, dass ich von ihm gesehen werde und besonders offen und bereit bin für seine Ansprache und sein Wirken. Ich erfahre mich in einer Gruppe, bei der die Zahl Zwölf nicht nur eine heilige Zahl symbolisiert, sondern auch eine undefinierbare Fülle an Mitmenschen. Es sind Lebenskreise, die sowohl eine zeitliche Dimension haben als auch andere Lebewesen wie Menschen, Tiere oder Pflanzen darstellen können. 

 

Die roten Punkte sind wie Blutstropfen und sprechen durch die Farbe und die Farbläufe von Kummer, Schmerz und Leid. Auch hier ist die Menge durch die Anzahl nicht definiert und doch lassen die zwölf Punkte ahnen, dass das Leiden uns immer in irgendeiner Form begleitet. Der rote Balken spricht von Ausgrenzung und Einsamkeit. Er ist groß wie eine Säule in der Landschaft. Aber auch einsames Leiden wird von Gott gesehen und findet seine Resonanz und sein Verständnis in den roten Bereichen der Sonne wieder. 

 

Die Erkenntnis "Du bist ein Gott, der mich sieht.“ gibt Hagar Mut und Kraft, in ihre vorherige Lebenssituation zurückzukehren und ihre Aufgabe in Demut anzunehmen. 

Glaube auch ich, dass Gott mich ganz persönlich sieht? Unabhängig davon, in welchem Symbol ich mich wiederfinde?

 

 

Patrik Scherrer, lic. theol. / www.bildimpuls.de 

 

Patrik Scherrer, lic. theol. / www.bildimpuls.de