Jahreslosung 2013

 

 

Ein (nicht-) selbstverständlicher Gedanke fürs Jahr

 

von Hartmut Marks-von der Born

 

Was ein gebildeter, uns nicht näher bekannter Angehöriger der frühen Christenheit ins Buch der Bücher schreibt, wird uns zum Leitwort für das Jahr 2013: "Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir (Hebr 13,14)." 


Er kennt sich aus mit den Heiligen Schriften der 'Hebräer'. Israel, das wandernde Volk Gottes hat es immer wieder erlebt: Was die Israeliten auch angefangen oder aufgebaut haben – niemals durften sie es lange genießen. Gerade war ihnen zum wiederholten Male geraubt und zerstört worden, was ihnen heilig war. Nichts blieb verschont. 


Wieder liegt auch der Jerusalemer Tempel in Trümmern. Wieder ist das Volk in alle Welt zerstreut, viele Juden, viele Judenchristen, viele Angehörige des jüdischen Volkes leben nun in der Fremde. Sie hatten tatsächlich keine bleibende Stadt – irgendwie ist das bis heute so. 


Es ist wohl niemals ganz nachvollziehbar, welche Verletzungen und Tiefen diese Erfahrungen mit sich bringen. Darum ist es etwas anderes, wenn wir resümieren, dass nichts von Dauer ist. Für Menschen auf der Flucht vor Hunger und Not, für Vertriebene und Heimatlose erschließt sich die Jahreslosung anders.


In einem großen Brückenschlag versucht der Schreiber des Hebräerbriefes die Kraftquellen der Tradition freizulegen, die jetzt in der Not helfen können. Er macht die Verheißungen fruchtbar, die in alten Bräuchen und Glaubensvorstellungen erhalten blieben. 


Zudem bekennt er sich zu Jesus von Nazareth als neuen Hoffnungsträger – er ist der (mit uns) leidende Sohn Gottes und auferstandener Christus. Er ist der Heiland, der Heilsstifter und -vermittler. Er erfüllt die Aufgaben als Hohepriester umfassender als alle, die vor ihm jemals dieses Amt innehatten. 


Er bringt das Opfer dar und ist es gleichzeitig selbst. Er nimmt alle Schuld auf sich, die je einen Menschen von Gott trennen könnte. Nichts wird mehr von Gott scheiden können, außer die eigene Glaubensschwäche und innere Abkehr des eigentlich Geretteten. Wir dürfen vermuten: Seine Adressaten schwächeln. 


Sein Appell ist daher eindringlich: "Bleibt dran! Haltet durch! Es dauert nicht mehr lange, dann bricht das neue Jerusalem an. Der jüngste Tag ist nicht mehr fern. Durch eure Taufe und den entsprechend gottesfürchtigen Lebenswandel seid ihr bereits gerettet, Hausgenossen Gottes. Ihr habt dauerhaft Heimatrecht in der neuen Welt!“


Sein Brief ist keine Vertröstung sondern ein eindringlicher Appell. Er meint es ernst: "Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt Eure Herzen nicht (3,7)!“ "Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens (4,12)". Lauheit und Gedankenlosigkeit sind ihm verpönt. Das Opfer war schließlich unermesslich. 


Wer so gerettet wurde - von Gott selbst - der kann seine Rettung und den Retter doch nicht zur Nebensache erklären oder werden lassen. Mögen noch so viele Anfechtungen oder Versuchungen tagtäglich um ihn lauern. 


Es gilt, sich an Jesus zu orientieren, seine Hoffnungen zu teilen, sich von seinem Feuer anstecken und - warum nicht - auch verzehren zu lassen, denn "wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir". Da kommt noch was!


Die engagiert vertretene und begründete Glaubensüberzeugung des unbekannten Schreibers hat wahrscheinlich vielen Menschen in Krisen und durch Tiefen geholfen. Das gilt es zu würdigen. 

 

Dennoch mutet seine Theologie dem aufgeklärten Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts einiges zu – besonders, wenn er sich selbst nicht von Not betroffen sieht. 


Darum seien einige Fragen erlaubt: 

Erwarten Sie einen kompletten Zeitenwechsel, ein 'jüngstes Gericht'? 

Warten Sie auf einen göttlichen Richter, der irgendwann in naher oder ferner Zukunft Gerechtigkeit herstellt, bis dahin aber für unzählige 'Opfer' lediglich Durchhalteparolen verlauten lässt? 

Können Sie sich vorstellen, durch ein hohepriesterliches 'Opfer' gerettet worden zu sein, das vor beinahe 2000 Jahren erbracht wurde? 


Ich glaube, unsere Denkvoraussetzungen und modernen Weltanschauungen können nicht ohne weiteres mit der Theologie des Hebräerbriefes in Einklang gebracht werden. Heute reicht kein naiver Rückgriff auf die Tradition, um darin eine sprudelnde Kraftquelle für den Alltag, den Sonntag, die Feste oder für die Gestaltung des Jahres oder der Zukunft zu finden. Auch die Tradition ist keine 'bleibende Stadt'. 


Allerdings ist vieles dennoch richtig: Uns verbindet auch über die Jahrhunderte das Bekenntnis zu Jesus Christus. Er ist auch für mich 'Anfänger und Vollender des Glaubens'. Ich finde es mehr als berechtigt, wenn wir 'zu ihm aufsehen', uns an ihm orientieren. Auch wenn ich fürchte, dass wir ihm unrecht tun, wenn wir ihn in die Rolle des 'Hohepriesters' zwängen, wo doch der 'Priester' den meisten von uns schon so fern ist. Jesus will uns viel näher kommen und sein. 


Ich sehe ihn deshalb lieber als Menschenbruder, den ich sehr verehren kann. Ich verdanke ihm viel. Und ich gehe gerne mit ihm ins Jahr 2013. Ich werde mich mal mehr und mal weniger heimatlich 'in dieser Welt' verbunden wahrnehmen. 
Ich schätze, mich werden auch 2013 viele Nachrichten und Erfahrungen befremden und entsetzen. Ich bin sicher, niemals wird jemand von uns ganz in dieser Welt auf- oder untergehen können. 


Darum halte ich es für heilsam, weiter auf eine zukünftige 'Stadt' zu setzen, in der alle Hoff-nungen erfüllt sind. Dafür setzen sich viele Nachfolger Christi überall auf der Welt ein. Sie halten Ausschau nach dieser verheißenen Stadt. Manchmal können sie schon etwas von ihrem Glanz erkennen. 


Mir scheint, als hätte die Künstlerin Angelika Litzkendorf zwei von ihnen entdeckt. Sie stehen noch im Schatten, aber sie erhaschen einen Blick, der sie erfüllt. Auf keinem ihrer weiteren Schritte werden sie es wieder vergessen können. Sie wissen nun ganz sicher, dass ihr Weg, ihr Engagement und all ihre Mühen Sinn machen. Einfach stehen zu bleiben wäre ausgeschlossen. "Wir haben hier keine bleibende Stadt." Es gibt noch viel zu tun! Und immer ist jemand da, der es anpackt. Gott sei Dank!

 


Hartmut Marks-von der Born


Über den Verfasser:

Hartmut Marks-von der Born, Jahrgang 1961, ist seit 1992 im Pastoraldienst tätig.

Von Februar 1992 bis August 1999 war er Pastor an der Berufsschule Schölerberg in Osnabrück. Am 1. September 1999 übernahm er die Pfarrstelle der ev.-luth. Jakobus-Gemeinde in Osnabrück, die er bis Ende August 2012 inne hatte. Zum 1. September 2012 kehrte er in den Schuldienst zurück und ist seither an den Berufsbildenden Schulen in Osnabrück tätig.

 

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